Für die Abwicklung von Rechtsgeschäften gab es im Mittelalter verschiedene Formen. Südlich der Alpen war das sogenannte Notariat weitverbreitet. Die Ausfertigung der Urkunden oblag Notaren, die von einer höheren Stelle legitimiert waren. Das Notariatsinstrument, wie diese Form der Beurkundung heißt, ist nicht besiegelt, sondern mit dem Zeichen des Notars und dessen Unterschrift versehen. Um Rechtssicherheit zu gewähren, wurden die einzelnen Urkunden auch stets in ein beim Notar befindliches Buch eingetragen, in die sogenannte Imbreviatur.
Diese Urkunde ist einerseits von den Ausstellern besiegelt und zusätzlich noch von drei – kaiserlich legitimierten – Notaren beglaubigt. Ganz unter dem Motto: Doppelt hält besser!
Das Vidimus ist auf einem ungewöhnlich großen Stück Kalbspergament ausgeführt, wobei fast die gesamte Tierhaut für die Urkunde verwendet wurde. Da es sich um eine so große Fläche handelt, musste auch ein deutlicher Anteil der Bauchseite – die qualitativ schlechteres Pergament liefert – mitverwendet werden. Die gedachte Wirbelsäule des Tieres verläuft vertikal durch die Mitte der Urkunde; Abdrücke des Steißbeins finden sich am oberen Rand. In diesem Fall wurde die Haarseite des Pergaments beschrieben, was einen deutlichen Unterschied zu den anderen Urkunden darstellt.
Das mittlere und rechte der Notarszeichen am unteren Rand des Vidimus sind mit Eisengallustinten abweichender Zusammensetzung ausgeführt. Die verwendeten Tinten enthalten quecksilberhaltige Zusätze und vermutlich auch Beimischungen von Rußtinte. Da die Notarszeichen von verschiedenen Personen stammen, ist eine von der Schreibtinte abweichende Zusammensetzung hier nicht überraschend, sondern im Gegenteil sogar zu erwarten.
Die an rot-grünen Schnüren angehängten runden und spitzovalen Siegel wurden als Schüsselsiegel ausgeführt. Die hellen Schüsseln bestehen aus Bienenwachs, das vermutlich mit Kreide versetzt wurde. Die darin eingesetzten Wachsplatten erhielten ihre rote Farbe durch den Zusatz von Zinnober. Dieser Zusatz ist, neben der Schichtdicke der Reliefs, für den hohen Kontrast der Wachsplatten in den Röntgenaufnahmen verantwortlich. Diese zeigen auch deutlich den Verlauf der Siegelfäden im Inneren der Siegel, was für das Vorliegen der originalen Siegelschnüre und Siegel am Vidimus spricht.
Im Komplex der Maius-Fälschungen stellt diese Urkunde eine Besonderheit dar. Im Gegensatz zu den anderen fünf Dokumenten ist sie nämlich echt. Diese Urkunde – und nicht die einzelnen gefälschten Stücke – wurde dem Kaiser zur Bestätigung vorgelegt. Herzog Rudolf IV. hatte die Fälschungen nicht nur zur eigenen Selbstvergewisserung anfertigen lassen; sie sollten auch durch seinen Schwiegervater, Kaiser Karl IV. (1316–1378) bestätigt werden und damit zusätzliche Authentizität erlangen.
Aus diesem Grund bat er eine ganze Reihe von geistlichen Würdenträgern um eine sogenannte Vidimierung der Urkunden; d.h. die Bischöfe und Äbte bestätigten mit ihren Siegeln die Echtheit der abgeschriebenen Urkunden. Raffinierterweise ließ Rudolf sie nicht nur die Fälschungen, sondern auch vier weitere echte Urkunden bestätigen. So fügen sich die gefälschten Diplome elegant in eine echte Chronologie ein. Da alle elf Urkunden volltextlich im Vidimus der geistlichen Herren enthalten sind, hat die Urkunde eine außergewöhnliche Größe von fast einem Quadratmeter.
Der apostolische Nuntius Egidius, Bischof von Vicenza, Bischof Gottfried von Passau, Abt Eberhard von Rheinau am Zellersee und Abt Lampert von Gengenbach bestätigen für Herzog Rudolf IV. von Österreich Urkunden über die Vorrechte des Hauses Österreich (Vidimus).
Wien, 11. Juli 1360
Pergament, vier Siegel an roten und grünen Seidenschnüren
Wien, Österreichisches Staatsarchiv, Haus-, Hof- und Staatsarchiv, AUR 1360 VII 11
Durch sogenannte Streiflichtbeleuchtung, d.h. Beleuchtung des Objekts von der Seite und unter sehr flachem Winkel, können unterschiedliche topographische Effekte deutlich hervorgehoben werden.
Auch am Vidimus erkennt man dabei hauptsächlich die markanten Büge und Falten im Pergament. Weiters zeigt sich die Schrift im Bereich der Falten und Büge durch mechanische Beanspruchung deutlich reduziert.
Durch die Bestrahlung mit UV-Licht können einige Materialien, darunter viele organische Medien, zu verschiedenfarbigen und jeweils charakteristischen Fluoreszenzen angeregt werden. Dies kann erste Hinweise auf die vorliegenden Materialien oder zu abweichenden Materialzusammensetzungen liefern. Auch weitere Informationen zu Veränderungen oder zum Zustand der Objektoberfläche, wie spätere Überarbeitungen bzw. Beschädigungen, treten oftmals in den UV-Aufnahmen deutlicher zutage.
An einigen Stellen lässt sich eine Vorlinierung der Zeilen für den Text erkennen, und es zeichnen sich lokal begrenzte, braune Verfärbungen und Flecken, bei denen es sich um verlaufene Tinte handelt, bei der Betrachtung unter UV-Licht ab.
Die Infrarotreflektographie (IRR) ermöglicht einen tieferen Einblick in den Aufbau von Objekten. Für Urkunden können durch den Einsatz der IRR vor allem Rückschlüsse auf Oberflächenphänomene und die verwendeten Tinten, üblicherweise Eisengallustinte oder kohlenstoffbasierte Tinte (Rußtinte), gezogen werden.
Am Pergament zeigen sich im Bereich des rechten Randes Messerspuren, die vom Ablösen der Haut stammen. Die unter sichtbarem Licht bräunlich erscheinende und eher dünn aufgetragene Tinte ‚verschwindet‘ im IRR fast komplett, was auch hier auf die Verwendung von Eisengallustinte hinweist. Die bereits unter UV-Licht sichtbare stellenweise Vorlinierung der Zeilen ist auch im IRR erkennbar.
Röntgenstrahlung kann Objekte durchstrahlen, wird dabei in Abhängigkeit von der Objektdichte (Dicke) und/oder dem Vorhandensein schwerer Elemente unterschiedlich stark abgeschwächt und trifft danach auf einen röntgenempfindlichen Film.
Die Röntgenaufnahme des außergewöhnlich großen Kalbspergaments bildet die anatomisch bedingten Strukturen der Tierhaut sowie die Messerspuren vom Ablösen der Haut im Bereich des rechten Randes deutlich ab. Der mit Eisengallustinte verfasste Text zeichnet sich gut ab, ebenso wie die Vorlinierung der Zeilen, die aufgrund der hohen Absorption möglicherweise mit einem Bleigriffel ausgeführt worden sein könnte.